Bei der Recherche zu meinem letzten Artikel („Was macht Corona eigentlich mit unserer Psyche?“) bin ich auf eine schockierende Zahl gestoßen. Jeder dritte deutsche Jugendliche hat sich in seinem Leben schon einmal selbst verletzt. Sei es nun Ritzen, den Kopf gegen Gegenstände zu hauen oder sich absichtlich verbrennen.
Um diese Zahl zu verdeutlichen, bitte ich euch, einmal eure Klasse vorzustellen. Wie viele seid ihr? Dreiundzwanzig? Vierundzwanzig? Und jetzt teilt diese Zahl durch drei. Laut Statistiken wären es also schon über sieben Schüler aus eurer Klasse, die selbstverletzendes Verhalten (SVV) bewiesen haben. Selbstverletzung zählt erst dann wirklich, wenn man es an mindestens fünf Tagen im Jahr gemacht hat.
Die wohl verbreitetste Variante von Selbstverletzung ist Ritzen. Dabei schneidet man sich mit einem scharfen Gegenstand, wie einem Messer, einer Rasierklinge oder einer Glasscherbe seine Haut an Armen, Beinen oder auch am Bauch auf. Zwei von drei Jugendlichen, die dies machen, sind Mädchen.
Häufiger bei Jungs zu finden ist es, seinen Kopf gegen die Wand oder gegen Gegenstände zu hauen oder anderweitig auf etwas einzuschlagen, bis Blut fließt. So verletzten Jungen neben sich selbst auch manchmal andere, was unter Mädchen kaum vorkommt.
Doch wie kommt es überhaupt zu diesem Verhalten und wie kann man dem entgegenwirken?
Selbstverletzendes Verhalten hat seinen Ursprung meist schon in der Kindheit. Ob es nun ein unsicheres Elternhaus oder eine toxische Freundschaft war. Solche Ereignisse haben schlimmere Folgen als man es auf den ersten Blick glaubt. Wenn die Pubertät einsetzt, läuft man schnell in Gefahr, Kritik zu nah an sich heranzulassen oder sich von Gefühlen steuern zu lassen. Einige brauchen nur kleine Trigger, wie ein Streit mit einer wichtigen Person oder eine schlechte Schulnote, um anzufangen sich selbst Schmerzen zuzufügen, andere müssen schon mehr durchmachen. Besonders Borderliner sind von selbstverletzendem Verhalten betroffen. Sich körperlichen Schmerz zuzufügen, gibt vielen die Möglichkeit, für einen kurzen Zeitraum seinen psychischen Schmerzen zu entkommen. Auch wollen Betroffene manchmal mehr Kontrolle über ihr Leben haben und Schmerz ist das Einzige, was sie gerade kontrollieren können.
Anfangen tut es meist mit oberflächlichen Wunden, die schnell wieder verblassen, doch je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer werden die Verletzungen. In einigen Fällen googeln Betroffene nach Selbstverletzungen und stoßen nicht selten auf Fotos, die sehr viel schlimmere Wunden zeigen als die, die sie selbst haben. Dadurch fühlen sie sich in manchen Fällen angestachelt, es ebenso zu tun und sie schaukeln sich immer mehr hinein. So dient Selbstverletzung bei einigen bald schon nicht mehr als Bestrafung, sondern als Belohnung, da dabei auch oft Endorphine (also Glückshormone) ausgeschüttet werde. Es kommt nicht selten vor, dass die Selbstverletzung zu einer Sucht wird.
Jetzt stellt euch vor, ihr findet heraus, dass ein Freund oder eine Freundin eine von denjenigen ist, die sich selbst den Arm aufschneiden. Wie sollte man jetzt handeln?
Ein großer Fehler, den viele machen ist, seine Freunde dazu zu drängen aufzuhören. Selbst wenn sie es machen sollten, dann ist das eigentliche Problem noch nicht gelöst. Kein Mensch würde sich ohne triftigen Grund selbst verletzen. Was eure Freunde also brauchen, ist eine starke Persönlichkeit, die ihnen zur Seite steht und die Selbstverletzung akzeptiert. Setzt eure Freunde niemals unter Druck und bewahrt ihr Geheimnis!
Sollte der Fall nicht so schlimm sein, könnt ihr versuchen, mit eurem Freund oder eurer Freundin über die Ursachen zu sprechen und sie gemeinsam zu lösen. Sollte es jedoch nicht so einfach sein, ist es ratsam einen unserer Beratungslehrer oder Frau Jensen, unsere Sozialpädagogin, aufzusuchen. Falls euer Freund oder eure Freundin euch bittet, dann begleitet sie ruhig zu einem solchen Termin. Moralische Unterstützung ist in solchen Situationen sehr wichtig.
Falls es irgendwann bis zu einer richtigen Therapie kommen sollte, will ich euch schon einmal erklären, wie es zum Beispiel ablaufen könnte. Wichtig zum Anfang ist, dass eine solche nur durchgeführt werden kann, wenn der Betroffene sich bereit erklärt mitzumachen. Ohne seinen Willen kann eine Therapie nicht stattfinden.
Der Therapeut wird versuchen, mit einem zusammen das Problem zu finden, welches einen dazu bringt. sich selbst zu verletzen. Oft leiden Betroffene nebenbei auch an Depressionen, Suizidgedanken oder dem Borderlinesyndrom. Ersteren beiden wiederum entstehen auch durch Probleme, die es zu lösen gilt. Borderline ist etwas komplexer und kann durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit entstehen. Menschen, die darunter leiden, sind sehr sensibel und reagieren schnell auf Trigger, die sie in einen kompletten Gefühlsausbruch katapultieren. Einige Borderliner beschreiben diesen Zustand wie diese Szenen in Filmen, wo man wie durch Zeitlupe die Umgebung war nimmt und die Geräusche abstumpfen. Um diesen Zustand in den Griff zu bekommen, greifen Betroffene schnell zu Selbstverletzung. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, einen solchen Zustand zu überstehen. Tatsächlich hilft sowohl kaltes Duschen als auch schnelles Rennen. Zudem kann man sich kleine „Hilfsköfferchen“ zulegen, in denen Dinge drinnen sind, mit denen man sich zwar Schmerzen zufügen kann, jedoch ohne den Körper dabei nachträglich zu schaden. Darunter sind brennende Salben, pieksige Bälle oder enge Gummibänder. Solch einen Koffer kann man sich auch selber zubereiten. Unter folgendem Link findet man eine Liste mit Gegenständen, die man reintun könnte: Skills für Suizid und Selbstverletzung - Soforthilfe (sorgen-tagebuch.de)
Falls auch dies nicht helfen sollte, gibt es Medikamente, die man von einem Arzt verschreiben haben muss. Diese sind jedoch äußerst umstritten, da sie das eigentliche Problem unterdrücken und nicht lösen. Bis es jedoch dazu kommt, muss viel passiert sein.
Dieses Thema ist nichts, was man in so kurzer Zeit verstehen kann und psychische Krankheiten sind oft miteinander verknüpft. Trotzdem hoffe ich, mein Artikel konnte für etwas mehr Klarheit sorgen und ihr könnt euer neues Wissen nutzen, um euch selbst, Freunden, Verwandten oder Bekannten zu helfen.
Die im Text genannten Informationen könnt ihr unter folgenden Links finden:
Selbstverletzung bei Jugendlichen – Warum Ritzen zur Sucht wird - SWR2
Selbstverletzendes Verhalten – Wikipedia
Borderline-Syndrom: Definition, Ursachen, Verhalten - NetDoktor



